„Beide Seiten verheimlichen einen Teil der Wahrheit“

Von Redaktion · · 2017/11

Wie schwierig es ist, über die gesellschaftliche Spaltung zu berichten, darüber informiert der Journalist Min Min im Gespräch mit Sven Hansen.

Wie können Sie als Journalist über den Konflikt berichten?

Investigative Journalisten haben es auch woanders grundsätzlich schwer. Wer über Korruption, Drogen und Menschenrechte berichtet, lebt gefährlich.

Kürzlich ist bei Maungdaw, einer Stadt an der Grenze zu Bangladesch, ein Journalist, der investigativ recherchiert hatte, mit Schusswunden tot aufgefunden worden. Die Polizei sprach von Suizid, doch ein Angehöriger erzählte mir, dass die Polizei vorher einen solchen Journalisten gesucht hatte. Es kann also sein, dass der Journalist von der Polizei ermordet wurde. Aber das traut sich niemand zu schreiben.

Wie bezeichnen Sie in Ihren Artikeln die Menschen, die sich selbst Rohingya nennen? Müssen Sie einer offiziellen Sprachregelung folgen?

Die Regierung spricht nur von Bengali und weigert sich, Rohingya zu sagen. Die meisten Medien in der Hand von Bamar machen das auch so. Das ist ihre eigene Politik, denn die meisten Birmesen mögen den Ausdruck Rohingya nicht. Ich spreche von Menschen, die von der Regierung Bengali genannt werden, sich selbst aber Rohingya nennen.

Wie werden Sie als Journalist, der ein buddhistischer Rakhine ist, von muslimischer bzw. buddhistischer Seite behandelt?

Beide Seiten haben etwas, das sie nicht mit Journalisten teilen wollen. Sie verheimlichen einen Teil der Wahrheit und haben Angst, dass die andere Seite mehr Rechte bekommt. Will man die Wahrheit herausfinden, erhält man keine Informationen.

Min Min (28) ist Chefredakteur und Geschäftsführer der Root Investigative Agency (RIA), eines Büros freier Online-Journalisten in Sittwe, der Hauptstadt des Rakhine-Staates. Seit einem Splitterbombenanschlag im März 2016 auf sein Privathaus, in dem sich auch das RIA-Büro befindet, lebt der buddhistische Rakhine mit seiner Familie in der Metropole Yangon.

Gibt es in Rakhine lokale islamische Medien oder nur einen buddhistisch geprägten Mainstream?

Der Glauben sollte bei guten Journalisten eigentlich keine Rolle spielen. In Rakhine gibt es keine lokalen islamischen Medien, sondern nur islamisch-orientierte Medien von außerhalb, die nach Rakhine hineinwirken. Einige ihrer Mitarbeiter sind auch gute Journalisten. Es wäre gut, wenn es auch solche lokalen Medien gäbe.

Wie haben sich Ihre Arbeitsbedingungen in den vergangenen Monaten verändert?

Seit den ersten Angriffen der Arakan Rohingya Salvation Army, der ARSA, im Oktober 2016 verstärkt sich der Hass auf Muslime. Menschenrechtsverletzungen nehmen zu, die humanitäre Lage verschlechtert sich. Angegriffen werden auch Buddhisten, die Muslimen helfen. Inzwischen gerät auch unter Druck, wer nur über das Leid von Muslimen schreibt. Der Konflikt hätte sich ohne die Angriffe vom Oktober 2016 und vom 25. August dieses Jahres vielleicht lösen lassen. Jetzt wird es immer schwieriger.

Wieso?

Der Konflikt hat sich inzwischen grundsätzlich verändert. Bei den Unruhen im Jahr 2012 ging es um eine Auseinandersetzung innerhalb der Gesellschaft zwischen Buddhisten und Muslimen. Inzwischen haben sich Muslime bewaffnet, Regierung und Militär sprechen jetzt von „Terrorismus“. Die Regierung sieht also keinen innergesellschaftlichen Konflikt, sondern eine Aggression von außen. Das erschwert das Zusammenleben. Alle Bürger Rakhines sollten sicher leben können.

Sven Hansen ist Asienredakteur der Berliner Tageszeitung taz.

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